Machbarkeit eines Offshore-H2-Backbones

Machbarkeit eines Offshore-H2-Backbones

DNV-Studie analysiert Aufbau und Kosten

Die Energiewende in Europa kann nur gelingen, wenn auch CO2-intensive Sektoren zügig dekarbonisiert werden. Dabei wird grüner Wasserstoff sehr wahrscheinlich eine zentrale Rolle spielen, denn in vielen energieintensiven Anwendungen gibt es keine andere CO2-neutrale Alternative. Die für die Erreichung der Klimaneutralität notwendigen Mengen an Wasserstoff sind allerdings für Europa sehr hoch. Zur Dekarbonisierung der heutigen H2-Produktion in Europa würden etwa 250 TWh H2 benötigt. Bis 2050 geht die EU in ihrer Wasserstoffstrategie von 2.250 TWh aus.

Wie die Energiekrise im vergangenen Jahr gezeigt hat, ist die Importabhängigkeit von Energieträgern strategisch risikoreich. Insofern sollten im Bereich Wasserstoff größere Erzeugungsmengen in Europa produziert werden, um nicht in vergleichbare Abhängigkeiten zu geraten, wie sie heute bei den fossilen Energieträgern gegeben sind.

Als unabhängiges Beratungsunternehmen hat DNV in diesem Zusammenhang für Gascade und Fluxys untersucht, inwiefern eine Offshore-Wasserstofferzeugung ökonomisch und strategisch sinnvoll ist und wie über eine großskalierende Einbindung einer Offshore-Elektrolyse in ein europäisches Netz ein signifikanter Beitrag zur europäischen Versorgungssicherheit realisiert werden kann.

Offshore-Windenergie ist am wirtschaftlichsten

Ausgangspunkt der Untersuchungen ist zunächst der Vergleich von fünf H2-Wertschöpfungsketten, die hinsichtlich ihrer H2-Gestehungskosten untersucht werden. Dabei wird von einer Produktion in Mitteleuropa hinsichtlich der Wind- und Solarprofile ausgegangen. Verglichen werden die Produktionsketten Onshore-Wind, Onshore-PV und Offshore-Wind mit einer Onshore-Elektrolyse und einer HVAC- oder HVDC-Anbindung sowie Offshore-Wind mit einer Offshore-Elektrolyse und einer Pipelineanbindung.

Die Ergebnisse der Modellierung zeigen, dass die Produktion von Wasserstoff mittels Offshore-Windenergie grundsätzlich am wirtschaftlichsten ist. Dies ist insbesondere in den hohen Volllaststunden – rund 5.000 – der Elektrolyse begründet, die bei Offshore-Windenergie erzielt werden können und durch die die Kapitalkosten im Verhältnis zur Produktion am vorteilhaftesten sind.

Bei der Nutzung von Offshore-Windenergie stellt sich weiterhin die Frage, ob die Elektrolyse eher onshore oder offshore erfolgen sollte. Auch dieser Aspekt wird in der Studie im Detail untersucht. Ein Vergleich der Bedeutung der Energieübertragungskosten auf die Gesamt-LCOH zwischen den drei Optionen

1) kabelgebundene HVAC-Anbindung (Elektrolyse onshore) und

2) kabelgebundene HVDC-Anbindung (Elektrolyse onshore) gegenüber

3) pipelinegebundene Wasserstoffübertragung (Elektrolyse offshore)

zeigt, dass bis zu einer Entfernung von etwa 125 km von der Küste die HVAC-Übertragung im Vergleich zur HVDC-Übertragung kostengünstiger ist. In Entfernungen darüber hinaus wird allerdings die Pipelineanbindung, bezogen auf die gesamten LCOH, günstiger. Die Elektrolyse sollte folglich für weiter entfernte Offshore-Gebiete auf See erfolgen. Für die Studie wird diese Grenze bei 100 km gezogen, da eine Pipeline auch mehrere Offshore-Windparks einbinden kann (s. gelb-schraffierter Bereich in Abb. 2).

Betrachtet man als weiteren Faktor noch die Landnutzung, die bei einer Onshore-Elektrolyse signifikante Flächen in Anspruch nimmt, so hat die Offshore-Elektrolyse noch einen weiteren Vorteil: Die ohnehin schon sehr intensive Landnutzung onshore wird nicht noch weiter intensiviert. Der kompakte Aufbau, der offshore möglich ist, ist deutlich vorteilhafter.

89 Gigawatt in der Nordsee in Planung

In einem nächsten Schritt wird in der Studie das Offshore-Winderzeugungspotential für Flächen mit einer Küstenentfernung von mehr als 100 km in der Nord- und Ostsee untersucht. Dabei werden nur solche Flächen berücksichtigt, die bislang von den entsprechenden Ländern für Windprojekte ausgewiesen wurden. Die entsprechenden Auswertungen zeigen, dass sich unter Berücksichtigung eines 100-km-Kriteriums aktuell in der Nordsee 89 GWel Leistung aus Offshore-Windenergie in meist sehr frühen Planungsphasen befinden. In den Seeflächen der Nordsee besteht aber noch weit mehr Potential, allerdings ist dies derzeit nicht für eine Windenergienutzung ausgewiesen.

Würde das ermittelte Potential (89 GW) in der Nordsee ausschließlich für die Erzeugung von Wasserstoff genutzt werden, dann entspräche dies einer H2-Produktionsmenge von rund 350 TWh/a bzw. 9000t/a. Eine solche Menge würde je nach zugrunde gelegter Prognosestudie 15 bis 20 Prozent des Wasserstoffbedarfs Europas im Jahr 2050 abdecken.

In der Ostsee ist das Potential aufgrund der geringeren Küstenentfernungen deutlich niedriger, zumindest, wenn das 100-km-Kriterium hart berücksichtigt wird. Eine vertiefende Betrachtung des Produktionspotentials im Ostseeraum wurde in der Studie nicht vorgenommen. Allerdings könnte ein entsprechender Offshore-Backbone in der Ostsee auch eine landseitige H2-Produktion in Schweden und Finnland effizient nach Mitteleuropa führen und dazu mit einer seeseitigen Produktion kombiniert werden.

Unterschiede zwischen Erdgas- und H2-Pipelines

Aufbauend auf den Ergebnissen der Wirtschaftlichkeit und des möglichen Flächenpotentials, wird in der Studie anschließend die mögliche technische Umsetzung detailliert. Hierbei geht es weniger um die Offshore-Elektrolyse selbst, sondern spezifisch um die Optionen, die Offshore-Wasserstofferzeugung über ein Offshore-Pipelinenetz mit einem Onshore-Netz zu verbinden. Dabei sind zahlreiche Fragen zu klären, um einen Wasserstoff-Backbone zu schaffen, der sicher betrieben werden kann.

Vergleicht man beispielsweise den Transport von Erdgas, der in Offshore-Umgebungen üblich ist, mit dem Transport von Wasserstoff, der bisher noch nicht in Offshore-Umgebungen durchgeführt wurde, so müssen mehrere Aspekte berücksichtigt werden: Erstens haben Erdgas und Wasserstoff einen unterschiedlichen Energiegehalt, wenn sie durch eine Pipeline transportiert werden. Erdgas besteht hauptsächlich aus Methan (CH4) und hat normalerweise einen Energiegehalt zwischen 34 und 43 MJ/m³ (oberer Heizwert).

Wasserstoff hingegen hat einen viel geringeren volumetrischen Energiegehalt als Erdgas (etwa 12,7 MJ/m³). Das bedeutet, dass beim Transport von Wasserstoff durch eine Pipeline ein viel größeres Gasvolumen erforderlich ist, um die gleiche Energiemenge wie die von Erdgas zu transportieren. Wasserstoff ist jedoch auch ein viel leichteres Gas als Erdgas.

Bei normaler Temperatur und normalem Druck hat ein Kubikmeter Wasserstoff zum Beispiel etwa ein Neuntel der Masse eines Kubikmeters Erdgas, was zu einem viel höheren Durchfluss bei gleichen Druckunterschieden führt. Die Kombination dieser beiden Aspekte (niedriger Heizwert und leichtes Gas) hat eine ausgleichende Wirkung, so dass der Energiefluss von Wasserstoff und der von Erdgas dennoch vergleichbar sind.

Darüber hinaus ist Wasserstoff auch im Stahl viel diffuser als Erdgas und fördert daher die Versprödung von Pipelines infolge zyklischer Belastungen. Dieser Effekt wird durch eine Vermeidung von zyklischen Belastungen, die Nutzung von weniger hochwertigen Stählen (die weicher und damit weniger rissanfällig sind) und die Verwendung einer dickeren Rohrleitungswand beherrschbar. Dies schränkt jedoch im Allgemeinen auch die Wiederverwendbarkeit bestehender Erdgaspipelines für den Wasserstofftransport deutlich ein.

Zusammenfassend kommt die Studie daher zu dem Schluss, dass sich aufgrund seiner unterschiedlichen volumetrischen, gravimetrischen und molekularen Eigenschaften der Transport von Wasserstoff von dem von Erdgas in Offshore-Pipelines stark unterscheidet. Offshore-Wasserstoffpipelines sollten mithin spezifische Auslegungskriterien erfüllen, um eine angemessene Transportkapazität zu gewährleisten und sicher und dauerhaft betrieben werden zu können. Aufgrund der vorgenommenen Analysen, die in diesem Artikel nur stichpunktartig aufgezeigt werden, kommen die Autoren zu dem Schluss, dass eine Umwidmung bestehender Offshore-Pipelines in den meisten Fällen unwirtschaftlich ist, insbesondere dann, wenn die Pipeline Teil eines integrierten und mehrere Windparks verbindenden Systems sein soll.

Hohes Druckniveau möglich

Als abschließender Schritt wird in der Studie die technische Umsetzung eines Wasserstoff-Backbones in der Nordsee detailliert. Dabei werden u. a. Fragen zum Routing, zum Druckregime, den Pipelinekosten und der notwenigen Speicherkapazität aufgrund einer fluktuierenden H2-Produktion erörtert. Das in der Studie skizzierte Netz verbindet die Windparks in der Nordsee mit Anlandepunkten in sechs Nordseeanrainerstaaten. Für die Anbindung wurden in den Ländern Anschlusspunkte an die geplanten Onshore-Backbones gewählt. Das hierdurch gebildete Netz hat eine Gesamtlänge von 4.500 km und weist generell eine Nord-Süd-Flussrichtung auf.

In der Studie wird keine komplette hydraulische Analyse vorgenommen, sondern es erfolgen einige Näherungsberechnungen. Um beispielsweise den erforderlichen Eingangsdruck für den Transport von Wasserstoff von Norwegen nach Deutschland zu ermitteln, wurden für die notwendigen Pipelineabschnitte entsprechende Berechnungen durchgeführt (s. Abb. 3).

Der angenommene Rohrleitungsdurchmesser beträgt 48 Zoll. Mit diesen Parametern wurde der erforderliche Eingangsdruck für unterschiedliche Kapazitäten der Pipeline berechnet. Für eine H2-Kapazität von 25 GW, die an diesen Pipelineabschnitt angeschlossen ist, wird beispielsweise ein Einlassdruck von 192 bar berechnet. Dies ist ein sehr hohes Druckniveau für H2-Offshore-Pipelines.

Das DNV Joint Industry Project (JIP) H2Pipe untersucht derzeit Konstruktion, Bau und Betrieb von Offshore-H2-Pipelines mit einem Druck von bis zu 250 bar. Obwohl diese Pipelines noch nicht kommerziell verfügbar sind, sehen DNV und die JIP-Partnerunternehmen keine größeren technischen Einschränkungen für die Verwirklichung solcher Pipelines. Die wirtschaftliche Machbarkeit in Bezug auf die Materialauswahl der Pipelines und der Zusatzausrüstung muss allerdings in den kommenden Jahren nachgewiesen werden.

Neben dem Pipelinesystem wird in der Studie auch der Speicherbedarf analysiert. Der Anschluss an ausreichende Speicherkapazitäten ist notwendig, um ein nahezu kontinuierliches Versorgungsprofil zu erhalten. Die Studie zeigt hierzu auf, dass etwa 30 Prozent der Jahresproduktion als Voraussetzung für diese auf fluktuierenden erneuerbaren Energien basierende H2-Versorgung gespeichert werden müssen. In der Studie wird entsprechend von einem Anschluss an Salzkavernenspeicher in Norddeutschland und den Niederlanden ausgegangen.

Kostenberechnung

Für das skizzierte Netz werden anschließend die Kosten abgeschätzt. Für die Nordsee beträgt die Gesamtlänge des geplanten Backbones 4.200 km. Geht man von einem Rohrdurchmesser von 36 bis 48 Zoll aus, so liegt der Preis zwischen 3.000 und 4.500 €/m Pipeline.

Gemäß den getätigten Annahmen liegen die zusätzlichen LCOH für das Pipelinesystem zwischen 0,13 und 0,20 €/kg Wasserstoff, d. h. 4,0 bis 6,6 €/MWh. Da die nivellierten Gesamtkosten für Offshore-Wasserstoff im Bereich von 3 bis 5 €/kg liegen, bedeutet dies einen Zusatz von nur 2,6 bis 6,7 Prozent, bezogen auf die direkten Produktionskosten.

Neben den Pipelines muss ein entsprechendes Kompressionsregime berücksichtigt werden. Die Kosten für einen Kompressor variieren erheblich mit der Größe. Die maximale Kapazität heutiger Kompressoren liegt bei etwa 16 MWel (Eingangsleistung). Unter der Annahme zentraler Kompressoren für eine Windfarm, eines Ausgangsdrucks der Elektrolyseure von 30 bar, einer Eingangsleistung für das Wasserstoff-Backbone von 200 bar, einer Anordnung von vier Kompressoren mit jeweils 50 Prozent der erforderlichen Gesamtkapazität und 200 Prozent der Installationskosten belaufen sich die Investitionen für einen 1-GWel-Windpark auf 46 Mio. Euro und für einen 2-GWel-Windpark auf 66 Mio. Euro. Damit liegen die zusätzlichen LCOH zwischen 0,06 und 0,08 €/kg Wasserstoff, was einem Wert von 2,0 bis. 2,7 €/MWh entspricht. Da die nivellierten Gesamtkosten für Offshore-Wasserstoff im Bereich von 3 bis 5 €/kg liegen, bedeutet dies einen Zusatz von 1,2 bis 2,7 Prozent.

Insgesamt bewegen sich die Kosten für Pipeline und Verdichtung bei etwa zehn Prozent der gesamten spezifischen Kosten des Wasserstoffs. Zusätzlich zu den Kosten für die Pipeline und die Verdichtung muss auch die Speicherung als dritte Komponente berücksichtigt werden, die zu den LCOH hinzukommt. Hierfür kommen die Ergebnisse zu einem Wert von zusätzlichen 0.22 bis 0.35 €/kg H2.

Mit den ermittelten Systemkomponenten werden in der Studie Investitionskosten von 35 bis 52 Mrd. Euro abgeschätzt, um den skizzierten Nordsee-Wasserstoff-Backbone zu bauen. In Verbindung mit den Ergebnissen der LCOH-Analyse kann Wasserstoff aus Nordsee-Offshore-Windparks damit zu spezifischen Kosten von etwa 4,69 bis 4,97 €/kg im Jahr 2030 nach Mitteleuropa geliefert werden. Aus Sicht der Autoren sind diese Kosten konkurrenzfähig mit Importen.

Zur Umsetzung des skizzierten Systems ist ein koordiniertes und zügiges Vorangehen der relevanten Anrainerstaaten unumgänglich. Nur so können die notwendigen Netzwerk- und Skaleneffekte realisiert werden, und ein Offshore-Backbone kann bis 2050 einen Beitrag zur Wasserstoffversorgung von Europa leisten.

Was ist passiert?

Was ist passiert?

Liebe Leserinnen und Leser!

Hinter uns liegt eine außergewöhnliche Zeit mit diversen Krisen: Pandemie, Krieg, Klimakatastrophe, Energieknappheit, Inflation usw. Auch wenn die akute Phase der Pandemie vorbei ist, dauern andere Krisen noch an und werden uns voraussichtlich auch noch weiter begleiten.

Dennoch hat sich inzwischen so einiges zurechtgeruckelt. Die Inflation steigt immerhin nicht weiter an und die Gasmangellage wurde vorerst gemeistert. Auch der von einigen prophezeite Black-out nach der Abschaltung der drei letzten verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland ist nicht eingetreten. Stattdessen gibt es hierzulande so viel erneuerbare Energien wie nie zuvor – insbesondere im Stromsektor.

Eine gute Gelegenheit, um mal durchzuschnaufen und Zwischenbilanz zu ziehen: Wo stehen wir heute? Wie kommt die Energiewende voran? Was wurde bislang bei der H2– und BZ-Technik erreicht?

Ich beschäftige mich seit 1997 mit Wasserstoff und Brennstoffzellen. Damals war dieses Thema eine klitzekleine Nische. Brennstoffzellen schienen interessant, weil sie nur heiße Luft – also Wasserdampf – emittieren und keinerlei schädliche Kohlenstoffverbindungen. Es gab kaum Literatur darüber, lediglich ein paar Forschungsaktivitäten und Demonstrationsprojekte. Themenbezogene Förderprogramme waren Fehlanzeige.

Einige Autohersteller experimentierten „schon“ in den 1990er-Jahren mit Metallhydridspeichern für BZ-Pkw, andere mit Flüssigwasserstoff. Zur Jahrtausendwende starteten dann zwar erste H2– und BZ-Messen und -Kongresse, verschwanden aber teilweise auch bald wieder.

Optimistische Entwickler kündigten damals freudig an, dass 2004 wasserstoffbetriebene Fahrzeuge auf die Straße kommen würden und brennstoffzellenbetriebene Heizgeräte in die Keller. Statt Serienfertigung folgten jedoch Vertröstungen auf 2007, 2010, 2014 und 2017. H2-Hype folgte auf H2-Hype, aber vom Markt keine Spur.

Zeitweise wurde die Brennstoffzelle schon zu Grabe getragen – zumindest in den Medien. Etliche Einsatzgebiete, die damals in Erwägung gezogen wurden, scheiterten. So die brennstoffzellenbetriebene Filmkamera oder das BZ-Lastenfahrrad.

Neue Bewegung kam erst ins Spiel, als in den 2010er-Jahren Wasserstoff als Speichermedium für erneuerbare Energien in Erwägung gezogen wurde. Bis dahin hatte es immer geheißen: Energiespeicher brauchen wir nicht. Erst als der Gedanke der Sektorenkopplung aufkam, zeichnete sich allmählich ab, dass Wasserstoff dafür ein geeignetes Medium sein könnte.

In dieser Zeit kamen Schlagworte wie Power-to-Gas, Dekarbonisierung und Elektrifizierung auf. Die Brennstoffzelle geriet nach und nach aus dem Fokus, aber dafür richteten sich immer mehr Blicke auf Wasserstoff.

Dennoch vergingen noch etliche Jahre, in denen die viel beschworene Energiewende nicht wirklich vorankam. Es bedurfte erst Ereignissen wie Fukushima, Dieselskandal, Feinstaubdebatte und Gründung von Fridays for Future, bis auch den politischen Entscheidungsträgern klar wurde, dass es ohne Wasserstoff nicht gehen wird.

Was dann folgte, waren der European Green Deal sowie zahlreiche nationale Wasserstoffstrategien in vielen Ländern dieser Welt. Erste große Wirtschafts- und Industrieunternehmen begannen ihre Strategie zu ändern und wandten sich – zumindest stückweise – von den fossilen Energiestrukturen ab.

Es zeigte sich – entgegen vielfachen vorherigen Unkenrufen – immer deutlicher, dass Solar- und Windstrom zusammen mit geeigneten Energiespeichern das Potential haben, nicht nur den Stromsektor zu defossilisieren, sondern auch andere Energiesektoren.

Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist offensichtlich, dass die Zeiten günstiger fossiler Energien endgültig vorbei sind – was gleich in mehrfacher Hinsicht positiv ist. Denn hohe Preise für Gas, Öl und Kohle, die aufgrund der wachsenden Kosten für CO2-Zertifikate immer weiter steigen dürften, reduzieren nicht nur den Energieverbrauch, sie erzwingen förmlich einen Wechsel zu mehr Dezentralität sowie mehr Unabhängigkeit.

Aber wo stehen wir jetzt?

Heute haben wir fast schon ein Überangebot an H2-Messen und -Kongressen – weltweit. Wir haben Investitionszusagen in Milliardenhöhe von Großkonzernen. Wir haben politische Strategien für den Aufbau eines europaweiten H2-Backbones, um erneuerbare Energien in Form von H2-Gas über den Kontinent verteilen zu können.

Wir haben aber auch Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, die stark verunsichert sind und Angst vor der Zukunft haben. Viele können sich weder Wärmepumpen noch Elektroautos leisten. Die Unmutsäußerungen dieser Menschen sind gleichzeitig laut und nachvollziehbar. Deswegen ist es heute umso wichtiger, die Energiewende, ebenso wie die H2– und BZ-Technik, verständlich zu erklären.

Wir stehen am Anfang eines gigantischen Transformationsprozesses, der viel von uns allen abverlangt. Gleichzeitig birgt dieser Prozess ein immenses Entwicklungs- und Erneuerungspotential. Deswegen ist es von zentraler Bedeutung, mehr über Chancen und weniger über Probleme zu reden.

Ich bin absolut sicher, dass dieser Wandlungsprozess ohne wesentlichen Wohlstandsverlust möglich ist. Wir können zeigen, wie neue Arbeitsplätze geschaffen, wie nachhaltige Umweltstandards gesetzt, wie Ressourcen geschont und gleichzeitig der Lebensstandard zumindest beibehalten, wenn nicht sogar verbessert werden kann – und zwar weltweit.

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir nicht alles dem freien Markt überlassen, sondern passende Rahmenbedingungen schaffen, die ausreichend Gestaltungsfreiraum, aber auch Planungssicherheit bieten und vor allem eines sind: generationengerecht.

Herzlichst

Sven Geitmann

HZwei-Herausgeber

45 Mio. Euro für die Regionen

45 Mio. Euro für die Regionen

In der zweiten Runde des HyLand-Wettbewerbs sind Ende April 2023 die Gewinner in der HyPerformer-Kategorie verkündet worden. Dr. Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, überreichte den Regionen Rügen-Stralsund, Erfurt (s. HZwei-Bericht über TH2ECO-Mobility auf S. 12) und Rhein-Ruhr die Förderzusage für jeweils 15 Mio. Euro zur Umsetzung ihrer integrierten Wasserstoffkonzepte. Das Steuergeld ist insbesondere für die Beschaffung von H2-Anwendungen im Verkehrsbereich gedacht.

Volker Wissing erklärte: „HyPerformer-Regionen sind Leuchtturmprojekte im nationalen wie internationalen Maßstab. In diesen Regionen haben sich bereits erste Netzwerke, Infrastrukturen und Projekte etabliert. Im nächsten Schritt geht es jetzt um den Rollout der Technologie und die praktische Anwendung.“

Insgesamt werden damit vom BMDV seit 2019 mittlerweile 53 H2-Regionen in den drei Förderkategorien HyStarter (Networking), HyExperts (Konzepterstellung – s. HZwei-Regionen-Serie auf S. 22) und HyPerformer (Umsetzung) unterstützt.

Beim HyLand-Symposium in Berlin wurde zudem der Bund der Wasserstoffregionen (BdWR) gegründet, der den H2-Regionen eine politische Stimme verleihen soll. Initiatoren sind neben der NOW der DVGW sowie der VKU und Dr. Stefan Kerth (Landrat Landkreis Vorpommern-Rügen) als politischen Vertreter einer HyLand-Region.

„Wir wollen zu einer der führenden Wasserstoffnationen weltweit werden.“

Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing

Industrie will klimafreundlichen Wasserstoff

Industrie will klimafreundlichen Wasserstoff

Laut einer repräsentativen Umfrage sehen mehr als zwei Drittel der Deutschen (69 %) grünen Wasserstoff als Energieträger der Zukunft an. Hauptgründe sind die niedrigere Importabhängigkeit (56%), besserer Klimaschutz (51%) und größere Sicherheit bei der Energieversorgung (40%).

Fast jeder zweite Befragte (48 %) ist davon überzeugt, dass grüner Wasserstoff zum Umbau zu einer CO2-freien Industrie notwendig ist. In der Industrie setzen 61 % der Entscheider und sogar 81 % der Führungskräfte aus dem Energiesektor auf grünen Wasserstoff. Dementsprechend fordern drei Viertel der deutschen Bevölkerung (74 %) und der Entscheider aus der Industrie (75%) von der EU-Politik eine stärkere Förderung von grünem Wasserstoff – insbesondere die SPD-Wähler (annähernd 90%).

Vor allem SPD-Wähler haben großes Vertrauen in das nachhaltig erzeugte Gas (83 %). Von den Wählern der CDU/CSU gaben dies rund 75 % an, unter den Wählern der Linken und der AfD jeweils nur jeder Zweite, so das Ergebnis der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey, die von thyssenkrupp nucera in Auftrag gegeben wurde.

15 Milliarden Euro für die Uckermark

15 Milliarden Euro für die Uckermark

PCK und Enertrag starten HyPE+-Projekt

Es gibt erste konkrete Pläne für die Zukunft der PCK in Schwedt. Am 8. Mai 2023 haben Enertrag und die PCK Raffinerie GmbH eine Machbarkeitsstudie vorgestellt, die eine Vorstellung davon erlaubt, was an dem ostdeutschen Raffineriestandort bis 2045 passieren soll. Demnach könnte dort eine umfangreiche Wasserstoffinfrastruktur aufgebaut werden, was Investitionen in Höhe von 15 Mrd. Euro nach sich ziehen würde.

Sowohl die Geschäftsführer beider Unternehmen als auch der brandenburgische Wirtschaftsminister Prof. Jörg Steinbach waren extra in die Retortenstadt, die rein optisch immer noch stark an sozialistische Zeiten erinnert, gekommen. Gemeinsam stellten sie ihr HyPE+ genanntes Projekt vor, das zum Ziel hat, den Standort parallel zum weiterlaufenden Öl- und Gasbetrieb fit für die Zukunft zu machen. Dafür hatte sich zuvor ein 15-köpfiges Projektteam acht Monate intensiv mit sechs verschiedenen Arbeitspaketen auseinandergesetzt.

PCK-Vorstandsvorsitzender Ralf Schairer erläuterte, wie „Wertschöpfung regional geschaffen“ werden könne. Demnach soll die Raffinerie Schwedt später mal Wasserstoff per Pipeline aus der Region beziehen. Zudem soll aber auch vor Ort Wasserstoff in nennenswerter Größenordnung selbst produziert und vertrieben beziehungsweise in synthetische Kraftstoffe oder hochwertige chemische Produkte weiterverarbeitet werden. Perspektivisch könnten bis Ende 2027 mehr als 30.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr hergestellt werden.

„Wir sehen hier ein Zentrum für eine grüne Transformation.“

Dr. Gunar Hering, Enertrag-Vorstandsvorsitzender

Dafür sind zunächst 32 MW Elektrolyseleistung von Siemens Energy eingeplant (s. HZwei-Heft Apr. 2023), die bis 2027 auf 300 bis 400 MW erweitert werden sollen. Bis 2030 könnte die H2-Produktionsmenge dann bis auf 160.000 t pro Jahr anwachsen, was circa 20 Prozent (ca. 1 GW) der in der nationalen Wasserstoffstrategie vorgesehenen Elektrolyseleistung entspräche. Auf diese Weise könnten jährlich 2 Mio. t Flugkraftstoff, Methanol und High-Value-Chemicals, 1 Mio. t Biokraftstoffe sowie grüne Wärme für die Stadt Schwedt bereitgestellt werden. Das Investitionsvolumen dafür könnte sich in der Region auf rund 15 Mrd. Euro belaufen.

Ein Knackpunkt sei allerdings, so Schairer, dass sich voraussichtlich die Gesamtmenge der umgesetzten flüssigen Kraftstoffe von 11 Mio. t auf 3 Mio. t pro Jahr reduzieren werde. Dies habe ihn zunächst sehr nachdenklich gestimmt. Er erläuterte jedoch: „Von den 11 Mio. t erfolgen nur 20 Prozent der Wertschöpfung in Schwedt. Bei den 3 Mio. t findet hier 100 Prozent der Wertschöpfung statt. Die Euros bleiben also in der Region.“

An die rund 1.200 PCK-Mitarbeitenden gerichtet sagte Ralf Schairer beruhigend: „Wir werden noch viele Jahre Rohöl verarbeiten. Wir reden über eine Umstellung über zwei Dekaden.“

PCK-Geschäftsführer Harry Gnorski ergänzte: „Wir sind regional der größte Produzent von Wasserstoff, noch ist der allerdings grau.“ Damit dieser grün werde, hoffe er auf die Ansiedlung von Industrieunternehmen in der Region. Wie groß das Wachstumspotential im Nordosten der Bundesrepublik ist, verdeutlicht die Entwicklung von Enertrag, das derzeit 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, bis 2028 aber schon mit 2.000 rechnet. Dementsprechend stellte der per Video zugeschaltete parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Michael Kellner fest: „PCK und Enertrag sind die beiden wichtigsten Unternehmen in der Uckermark.“

Weniger Wasser vonnöten

Hinsichtlich des Wasserbedarfs in der Region erklärte Projektkoordinator Dr. Tobias Bischof-Niemz auf HZwei-Nachfrage: „Dieser wird sich deutlich reduzieren.“ Bislang verfüge die PCK über Wasserrechte für 20 Mio. t jährlich. Pro Gigawatt installierter Elektrolyseleistung würden etwa 1 Mio. t Wasser jährlich benötigt. Würden perspektivisch 5 GW in der Region installiert, läge der Wasserbedarf mit 5 Mio. t bei einem Viertel des bisherigen Bedarfs.

ECK statt PCK

Im Anschluss an die gemeinsame Pressekonferenz diskutierten die Herrschaften mit der Bürgermeisterin von Schwedt Annekathrin Hoppe sowie den Bürgerinnen und Bürgern über die Machbarkeitsstudie im Rahmen des Formats „Zukunft jetzt!“. Steinbach rief dort mit einem Augenzwinkern dazu auf, eine Kampagne zur Umbenennung der PCK in ECK zu starten, um damit zu symbolisieren, dass es in Schwedt nicht länger vorrangig um Petrochemie gehe, sondern dort ein Erneuerbare-Energien-Chemie-Kraftstoff-Verbund aufgebaut wird, wo e-Fuels und e-Chemikalien produziert würden.